Am Samstag bin ich mit meiner kolumbianischen Therapeutin
und meiner Frau im Park. Wir machen es uns auf der Bank bequem, von der ich
befürchte, dass sie einem Kaffeehausstühlchen weichen muss. Wie ein breites
Ausrufezeichen steht sie da: „Setzt euch drauf! Ihr habt Zeit! Diesen Augenblick
bin ich nur für euch da!“ Der Mai im Anflug hat die Betonmauer der Zufahrt zur
Tiefgarage bereits verschwinden lassen.
Als ich den ersten anspreche, fühle ich mich wie jemand, der
etwas verkaufen will. Beim zweiten, einer älteren Dame, fallen die Fragen schon
routinierter. Frau Z kommt aus einer Künstlerfamilie und schwärmt für Klee,
Itten und Kandinsky. Ihr Vater habe sich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt
und deren Lehrstil besonders geschätzt. Weimar braucht dieses Museum. Aber …
Ich glaube auch nicht,
dass man so einen Riesenbau dahin setzen muss. Ich meine, man gewinnt die Leute
nicht durch monumentale Gebäude. Mir wurde dann gesagt, von den
Büroangestellten: Ja, attraktiv soll’s sein. Dann habe ich natürlich wieder
gewusst, was im Gange ist. Mein Gott, was für ein Quatsch!
Ich war 10 Jahre in
Berlin. Das Sich-Einfügen in das, was ist, was wir haben, das Sich-Einfügen,
das fehlt irgendwie. Das haben wir verlernt.
Man kann nicht einfach
die Bäume alle hier fällen.
Ein Mitfünfziger, der seinen Hund ausführt gesellt sich
dazu.
Nach der Zeichnung
soll hier alles wegkommen. Ich hab das mal in der Zeitung gelesen. Ja, die
wollen bis hier reinbauen. Aber ich finde das nicht gut. Ich weiß nicht, warum
die das so machen müssen.
Ich sag nur, wir sind
eine Kulturstadt und wir machen sie Kaputt. Es muss nicht so viel anderes
zerstört werden. Aber jeder will sich sein Denkmal setzten.
Es wird gebaut und
nachher zieht keiner ein.
Eine junge Mutter
kann uns nicht weiterhelfen.
Bauhaus-Museum? Ich
glaub, da sind die noch gar nicht groß weiter. Also, die ganze Sache steht wohl
noch nicht so richtig. Das ist so mein Stand.
Also für uns ist der
Park total wichtig. Wenn wir aus der Stadt kommen – wir wohnen jetzt hier am
anderen Ende des Parks – und für uns ist das so ein Moment um runterzukommen,
auch für meinen Sohn, das ist nochmal ein Moment um abzuschalten. Also ich
genieße den Park und wir laufen bei jedem Wetter hier durch.
Wie die ältere Dame.
Heute ist das richtig
ruhig hier, aber am Sonntag ist es wirklich freudig hier, das sitzen die
Kinder, da wird Ball gespielt. Das ist wirklich ein schöner lebendiger Park
hier.
Ein pensionierter Sportlehrer, der sich noch an
Siegerehrungen in der alten Weimarhalle erinnern kann, fragt nach.
Hier soll das neue Bauhausmuseum entstehen.
Wo?
Hier.
Was? Wie heißt das?
Das neue Bauhausmuseum.
Muss das sein?
Im Unterschied zu den anderen kommt er aus Jena. Die Bebauung des
Eichplatzes dort scheiterte an der Arroganz der Planer. In ihren Plänen war
kein Platz für günstigen Wohnraum, obwohl die Mieten in der Stadt explodieren.
Sagt er mit einem stolzen Lächeln.
Ein Pärchen aus Neudietendorf findet es nicht so dramatisch,
wenn Bäume gefällt werden sollten. Schließlich wachsen die nach.
Die Weimarer lieben ihren Park und wissen etwas zum Neubau.
Aber nichts Genaues. Am Ende stellen wir fest, dass die anderen auch nicht mehr
wissen und das ist komisch, sagt die ältere Dame. Aber sie gibt auch zu
bedenken, dass ich eigentlich erst wissen müsste, ob meine Bank und die Bäume
wirklich weg müssten, denn sonst hieße es, ich würde über Dinge reden, die gar
nicht passieren.
Ein Problem des Empörten ist es, herauszufinden, ob er sich
zu Recht empört. Denn dies tut er nur, wenn alle Informationen zur Sache seine
Empörung befeuern. Doch was weiß er?
Der Empörte muss sich deshalb vorerst auf sein Gefühl
verlassen. Tief im Stammhirn sind Gesichter, Stimmen und Geschichten
gespeichert, zu denen er Frau oder Herrn W in Beziehung setzt. Das Ergebnis
dieses Glaubwürdigkeitstests liegt meistens bei gefühlten 50 Prozent.