5.14.2014

Vom richtigen Moment und einem Problem

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Vom richtigen Moment




Teil meiner Therapie ist die Begegnung mit Politikern. Andreas Leps von den Weimarer Grünen ist der erste, der mir für mehr als eine halbe Stunde Einblicke in den Anspruch und das Selbstverständnis eines Stadtrats gewährt. Als demokratische Kontrollinstanz vertritt er gegenüber einer 700-köpfigen Verwaltung die Interessen aller grünen Mitbürger. In ein paar Tagen werden diese entscheiden, wie gut er das gemacht hat.

Die Frage, ob das Bauhausmuseum ein Gewinn für die Weimarer ist, stellt sich für ihn nicht. Nicht so, jedenfalls. Denn wie eine Landkarte scheint die Debatte um den Neubau vor ihm zu liegen. Auf ihr kann er die einzelnen Stationen sicher verorten: die Entscheidung für den Alternativstandort Minolplatz 2010, den Wettbewerb, den Hanada 2012 gewann, einen eilig anberaumten Info-Abend im November 2013, nachdem es von Stadt und Stiftung keine Infos gab und die Bürgerbewegten (Schwarzbach, Lembcke, Finkbeiner u.a.) mit ihrer Computeranimation die Öffentlichkeit informiert hatten, der Antrag auf das Bürgerbegehren und seine Ablehnung.

Wir kommen ein halbes Jahr zu spät, sagt er. Und dass ihm das leid tue.

Wer sich aufgrund seines Mandats informieren muss und informiert ist, fragt sich selten, welche Informationen denen zur Verfügung stehen, die das Rathaus nur von außen kennen. Doch vor unserer Bank tut Leps genau das: Ich habe die Informationen, weil ich im Stadtrat bin, ob meine Nachbarn die ganzen Informationen haben, weiß nicht. Wahrscheinlich eher nicht. 

Und was ist mit den Argumenten, mit denen wir davon überzeugt werden sollen, dass der Neubau eine Belebung des Parks sowie eine Steigerung der Lebensqualität für die Anwohner bedeutet (Bürgerinfo)? Berlin zahlt nicht, wenn ... Die Grundfestlegungen stehen „rein rechtlich“ nicht mehr zur Debatte. Verkehrsführung, Finanzierung, Parkflora und -fauna - alles kein Problem. Es gibt Gutachten. Wer hat sie in Auftrag gegeben, bezahlt und gelesen? Wer von uns kann den Wahrheitsgehalt der Argumente überprüfen?  

Plötzlich ist es nicht mehr ganz klar, wer sich zu Wort melden hätte sollen, der Stadtrat, der in unserem Interesse die Verwaltung kontrolliert, oder die Bürger, und wann der richtige Zeitpunkt dafür gewesen wäre. 2010, 2012, im November 2013 oder im Januar 2014, als der Stadtrat mit einer Gegenstimme die Übereignung des Grundstücks an die Stiftung beschloss? 

Es bleibt das Gefühl: Die Weimarer wollen das neue Bauhausmuseum. Anders! 9,5 Millionen fließen in die Verlegung der Straße, der Versorgungsleitungen, der Tiefgarageneinfahrt und in die Gestaltung des Museumsumfelds. Gestern waren es noch 6,5. Wann war gestern? Vom Plan eines lebendigen Hauses mit Kindergarten hat man sich verabschiedet. Dabei müsste es heute mehr bieten als eine um hundert Jahre verschobene Klassik, nämlich: Fragt die Bürger! Doch wie Hannah Arendt zum Thema Verantwortung so treffend formulierte - wer verlässt sich angesichts der Experten und viel Papier noch auf sein Gefühl? Nicht einmal die Grünen.

Wo ist das Problem?

In Weimar warf Gropius im Dezember 1924 entnervt das Handtuch und erklärte die Auflösung des Bauhauses. Vorausgegangen war dem eine fünfjährige Fehde mit inneren und äußeren Feinden, zu denen auch der sozialdemokratische Finanzminister Hartmann gehörte. Auch er hielt das Bauhaus für überflüssig und aussichtslos. Doch nicht nur die Finanzierung, die von Gropius persönlich vor dem Thüringer Landtag mehrmals eingefordert werden musste, auch das Baushausprogramm selbst waren Kulturbürger und Politiker immer weniger bereit mitzutragen. Die Forderung nach einer neuen Baukunst unter Fühlung mit dem öffentlichen Leben und dass Kunst nicht mehr Genuß weniger, sondern Glück und Leben der Masse sein  sollte, bekam den Anstrich des Proletarischen. Für die Sozialdemokraten war sie zu bolschewistisch.

Wie Gropius sehr früh erkannte, ging es vielen Entscheidungsträgern nicht um das Bauhaus selbst. Es war von Anfang an ein Werkzeug zur Verschiebung der Machtverhältnisse im Thüringer Landtag und ein Mittel, um reaktionäre und nationalistische Positionen durchzusetzen.   

Ich habe nun achtzig Zeitungsartikel in den letzten Wochen über meinen Kampf gelesen und einen so tiefen interessanten Einblick in das Getriebe der Presse und der Parteien gewonnen, daß schon diese Erkenntnisse allein die Mühe des Kampfes lohnt. Ich sehe jetzt mit voller Deutlichkeit: Jede Partei ist Schmutz, sie erzeugt Haß und wieder Haß. Wir müssen die Parteien zerstören. Ich will eine unpolitische Gemeinschaft gründen. Das was wir alle ersehnen und wollen: „Gemeinschaft“ ist überhaupt nur unter Menschen möglich, die die Partei ablehnen und sich einer Idee hingeben und dafür kämpfen. (Gropius an A. Behne, 31.Januar 1920) 

Uns läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn wir beinahe 100 Jahre später in diesen Zeilen eine Erklärung für die aktuellen Ereignisse in Dessau suchen. Bekanntlich schrieb der Stiftungsrat die Stelle des Direktors ohne nachvollziehbare Argumente neu aus. Das führte im November 2013 zum Rücktritt des zehnköpfigen internationalen Beirats. Hatte sich Philipp Oswalt mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusminister der sachsen-anhaltinischen Landesregierung (CDU/SPD-Koalition) wegen des Standortes des dortigen Museumsneubaus überworfen? Auch eine Petition mit fast zweitausend Unterschriften konnte seine Vertreibung nicht verhindern. Gebaut wird jetzt auch dort im Park.    

Dahingegen nehmen sich die Ereignisse in Weimar ganz friedlich aus. Keiner muckt auf. Doch hier wie dort regt sich ein Gefühl – das Gefühl von Diskrepanz zwischen dem Recht auf demokratische Selbst- und Mitbestimmung und seiner Interpretation durch Stadtrat, Stadtverwaltung und Stiftung.


 
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